Kurzbeschreibung: Wer geglaubt haben sollte, die Geschichte des Dritten Reiches sei bereits erschöpfend erforscht, wurde in den letzten Jahren eines Besseren belehrt. Die hitzige Debatte um Daniel Goldhagens Buch Hitlers willige Vollstrecker und die umstrittene Wehrmachtsausstellung heizten die wissenschaftlich-publizistische Auseinandersetzung erneut an und führten zu einer wahren Flut an Veröffentlichungen zum Staate Hitlers.
Die Forschung der zurückliegenden Jahrzehnte verliert damit aber noch nicht automatisch an Bedeutung. Gerade deutsche Historiker haben in der Vergangenheit zahlreiche Studien vorgelegt, deren Ergebnisse weiterhin Gültigkeit beanspruchen können, und die den Vergleich mit aktuellen Publikationen nicht zu scheuen brauchen. Zu ihnen gehört zweifellos Der Staat Hitlers, Martin Broszats bahnbrechende Arbeit aus dem Jahre 1969, die kürzlich neu aufgelegt wurde.
Mit seiner Verfassungs- und Strukturgeschichte des NS-Regimes gelingt Broszat die zwingend notwendige theoretische Erfassung der Grundstrukturen nationalsozialistischer Herrschaft. Am Beispiel von Beamtentum und Verwaltung sowie von Justiz und Kirchen konkretisiert Broszat seine eher abstrakten Darlegungen und arbeitet die dualistische Natur des Regimes heraus, die in den Gegensätzen zwischen Staat und Partei oder Reichsregierung und Führerabsolutismus -- um nur einige zu nennen -- ihren Ausdruck fand.
Selbstverständlich wurden Broszats Ergebnisse durch neuere Detailstudien wesentlich erweitert, in einigen Punkten sicherlich auch korrigiert; an seinen grundlegenden Aussagen über die Konsequenzen der nationalsozialistischen Herrschaft ändert dies jedoch wenig.
1969 schloß Broszat sein Buch mit der schmerzlichen Erkenntnis, daß in der Bundesrepublik die "lastende Hypothek" des Nationalsozialismus in den "zahlreichen Äußerungsformen gestörten nationalen und politischen Selbstbewußtseins noch täglich spürbar ist". Dieses Fazit hat auch drei Jahrzehnte später nichts von seiner Aktualität eingebüßt. --Stephan Fingerle