Zuerst einmal danke für die Mühe, alternative Herangehensweisen vorzustellen. Allerdings möchte ich meine Gedanken dazu von der Grundschuldidaktik her schreiben: Dieses Material könnte kurzfristig evtl. den schwächeren Schülern beim Kopfrechnen helfen. Doch ich habe meine Zweifel, ob es die Zahlenvorstellung unterstützt.
Der Sinn des Kopfrechnens in der Grundschule - und das macht man im Tausenderbereich auch vor der Einführung des schriftlichen Rechnens - ist die Zahlenvorstellung zu verfestigen. Dswegen rechnet man ja schrittweise in den Zahlnräumen (100er, 10er, 1er) oder man arbeitet mit Dines Material, das die Bündelung und die Mengen der Zahlen veranschaulicht. Somit erfahren durch die Art des Kopfrechnens in der Grundschule die Kinder die Systematik der mathematischen Zahlenräume und sehen die Muster darin.
Wenn man allerdings schon vor dem schriftlichen Rechnen Rechentricks über die Stellenwerte verwendet, dann halte ich das für didaktisch im Unterricht für die Gesamtklasse nicht für sinnvoll. Bei den Dyskalkulikern sieht man öfter, dass diese sich mit ähnlichen Tricks, die ihnen ein Erwachsener beigebracht hat, im Kopfrechnen behelfen. Sie haben vielleicht dann einige Ergebnisse richtig, aber von der Zahlenvorstellung her sind sie nicht weitergekommen. Ich habe da gerade ein Kind meiner Klasse vor Augen, das so ähnlich wie in den Materialien vorgeschlagen gerechnet hat (über Stellenwerte) und dann bei den richtigen schriftlichen Verfahren total durcheinander gekommen ist und die schriftlichen Rechnungen auch auf ihre Weise sehr fehlerbehaftet gerechnet hat. Es konnte sich auf die einfachere Art des schriftlichen Rechnens dann gar nicht umstellen.
In der Einzelförderung wird es sich herausstellen, ob es für die Kinder wirklich nachhaltig (Zahlenvorstellung) gewinnbringend ist oder ob sie eher durcheinander kommen. |
ad 1:
Also die Vorschläge als solche Tricks darzustellen, die den Kindern nicht wirklich weiterhelfen, kann ich nicht nachempfinden. Es sind schlicht Rechenstrategien ähnlich dem Zwerg-Riesen-Prinzip.
Dass man den Kindern Rechenstrategien als 'Tricks' verkauft, hat damit nichts zu tun.
Die Zahlvorstellung beim Additions- und Subtraktionsbegriff sehe ich auch als eminent wichtig an, aber das betrifft im Wesentlichen das Rechnen im Zahlenraum bis 10. Selbst da werden bereits vielfach Strategien vermittelt, z.B. das Nachbaraufgaben-Prinzip. Persönlich finde ich solche hilfreich, eber nicht wesentlich. Mit einer Ausnahme: das Tauschaufgaben-Prinzip, beim Addieren immer mit dem größeren Summanden zu beginnen, finde ich schon wesentlich, denn damit werden die meisten Additionsaufgaben im ZR10 einfach. Ich denke, dass ist der Hauptgrund, warum auch leistungsschwächere Kinder mit der Addition kaum nachhaltige Probleme haben - ganz im Gegensatz zur Subtraktion.
Jenseits des ZR10 aber ist es allgemein üblich, mit 'Tricks' aka Rechenstrategien zu arbeiten, vor allem dem Zwerg-Riesen-Prinzip und Strategien für den Zehnerübergang. Natürlich kann man alle Strategien nach Belieben veranschaulichen, und das gilt auch für die beiden Vorschläge meinerseits. Wobei das Vorschläge sind. Jeder kann den Zehner-/Hunderterübergang nach Gusto gestalten.
Falls Du das Gesamtprinzip 'stellenweise von links nach rechts rechnen' in Frage stellst, kannst Du das natürlich tun - Deine Sache. Es gilt bei Leuten, die sich mit Kopfrechnen beschäftigen, allerdings als DAS Vorgehen.
ad 2:
Dass man, wenn man das Kopfrechnen von links nach rechts ernsthaft praktiziert, eventuell mit den üblichen schriftlichen Verfahren Probleme bekommt, kann ich mir vorstellen.
Wer den schriftlichen Verfahren einen großen Stellenwert beimisst, für den kann das Kopfrechnen von links nach rechts tatsächlich uninteressant sein. Auf Dich scheint das zuzutreffen.
Nach meiner Auffassung aber haben die schriftlichen Rechenarten keinen großen Stellenwert, und wenn Schüler damit Probleme haben, ist das zwar unschön, aber praktisch gesehen einigermaßen irrelevant. Wann hast Du in der Praxis (also nicht in der Schule) das letzte Mal die schriftlichen Grundarten angewendet? Bei der Addition vielleicht kürzlich, dann aber mit mehreren Summanden. Die schriftlichen Rechenarten sind ein Beispiel, wie praxisfremd Schule sein kann. Bei der schriftlichen Division wird fast nur mit einem einstelligen Divisor gerechnet, nur selten mit einem zweistelligen, und nie mit einem mehr als zweistelligen. Praktiziert ohnehin kein Mensch.
Fast schlimmer empfinde ich aber die mathematisch-didaktischen Auswirkungen, denn ich habe gesehen, dass das zu einem schematischen, formalen, ziffern- und nicht stellenwertbezogenen Danken führt.
Demgegenüber empfinde ich das Rechnen von links nach rechts, allerdings unbedingt mit vollen Stellenzahlen, nicht: Stellenziffern!, als mathematisch-didaktisch wesentlich wertvoller.
Vielleicht liegt hier auch nur ein Missverständnis vor. Bei einer Aufgabe wie 59+32 lauten die gesprochenen Zwischenergebnisse 'achtzig', 'einundneunzig'. So sieht das bei den schriftlichen wohl kein Kind bei den schriftlichen Rechenarten, sondern die Zehnerstelle wird da als Zehnerziffer betrachtet.
Das Denken in Zehnerzahlen ist übrigens wesentlich, wenn man im zweiten Schuljahr den zahlreichen Kindern helfen will, die mit häufigen Zahlendrehern zu kämpfen haben. Die meist praktizierte Heranführung an das Stellenwertsystem via Bündelung führt zu der Vorstellung von einer Zehner- neben einer Einer-Ziffer. Prompt haben die heute zahlreichen Kinder mit Raumlage-Wahrnehmungs-Störung damit Reihenfolgeprobleme, weil für sie die Rechtslage der Einerziffer nicht wahrnehmbar ist. Die Vorstellung über die Zahlzerlegung, wie sie die Zahlenkarten vermitteln, ist diesbezüglich günstiger. Die 31 ist dann die 1 auf der 30, und nicht die 1 neben der 3. |