auch wenn sich manches mit clausines beitrag deckt und mein beitrag unendlich lang ist:
ich hab gerade den fall in meiner klasse (6.stufe) gehabt, dass sich die mutter eines schülers zwei tage vor weihnachten (am morgen des letzten schultags) erhängt hat.
die schüler erfuhren es noch nicht von mir (ich habs WÄHREND der feier mit meinen schülern erfahren), sondern in den ferien, manche früher, manche später, ich hatte gottseidank 14 tage zeit .
das ist vielleicht nicht dasselbe, aber ich möchte euch gern beschreiben, wie es nach den ferien weiterging, vielleicht interessiert es wen.
ich hab noch in den ferien ein wenig über die tragischen umstände erfahren und über eine tante, mit der ich telefoniert habe, dass mein schüler a. , wenn er wiederkommt, nicht darüber reden will.
ich hab so einen fall noch nie gehabt, zumindest nicht als klassenlehrerin. ich hab professionelle hilfe bekommen, das war sehr gut. wir haben im bezirk ein sonderpädagogisches zentrum, dort ist eine für krisenfälle ausgebildete lehrerin tätig, die in diesen und ähnlichen fällen betreuend einspringt.
ausgemacht wurde, dass a. nicht gleich nach den ferien wieder zur schule geht, zuerst werden die mitschüler informiert (einige wussten es noch gar nicht). das hab ich, möglichst unspektakulär am ersten schultag übernommen, fragen (auch weil ich nicht genau gewusst habe, wie damit umgehen) meist mit „das weiß ich auch nicht genau“ beantwortet, aber mit dem hinweis darauf, dass uns jemand besuchen wird, der uns das vielleicht alles beantworten kann.
dann folgte ein gespräch zwischen mir, unsrer reli-lehrerin und dem chef sowie der betreffenden lehrerin aus dem SPZ, frau s.
sie beantwortete alle unsre fragen und sagte uns auch genau, was die schüler wissen können/sollen/nicht wissen sollen. (frau s. hatte in den ferien mehrmals kontakt zur familie).
die zweite schulwoche nach neujahr war schikurs, a. wollte unbedingt mitfahren, er hatte sich wochenlang drauf gefreut. ICH wollte unbedingt, dass er vorher einen tag zur schule geht, auch, um so etwas wie normalität wieder herzustellen. also vereinbarten wir, dass er Freitag in der ersten woche die letzten zwei schulstunden am kunstunterricht teilnimmt. und am tag vorher frau s. in meine klasse kommt um mit den mitschülern zu reden.
diese stunde war sehr beeindruckend für mich. nachdem ich frau s. vorgestellt hab, verlangte sie freundlich, aber bestimmt, alle kinder mögen ihren tisch freiräumen und federschachteln, hefte oder auch nur einen radiergummi oder blockzettel in ihre tasche räumen. (ihr habt keine vorstellung, wie lang kinder still sitzen können, wenn der tisch leer ist!)
sie hat dann kurz erzählt, dass wir sicher wissen, was passiert ist, dass sich a. auf den schikurs freut, auch auf seine mitschüler, dass er gerne mit x und y und z in einem zimmer liegen möchte und nicht darüber reden will bzw nicht angesprochen werden will darauf, was passiert ist.
außerdem erklärte sie den kindern, dass für a. ein punkt der hausordnung im moment nicht gelte, nämlich das handyverbot. er habe das handy sozusagen als letztes geschenk von seiner mutter erhalten, da drauf seien auch die letzten fotos der mutter. die kinder hatten dafür vollstes verständnis.
diese mitteilungen waren relativ kurz. anschließend fragte frau s., ob die kinder irgendetwas wissen wollen. nach anfänglichem zögern fragten sie wirklich alle möglichen sachen, die sie ihren mitschüler sonst gefragt hätten. ob das stimmt, dass er seine mutter gefunden hat, ob er jetzt bei der oma wohnen muss, ob sein vater auch einen selbstmordversuch begangen hätte (er war nicht am begräbnis) etc……….
alle diese dinge, die sich sonst ungeklärt aufgestaut hätten, die sie eventuell doch dann den schüler gefragt hätten, konnten in der stunde geklärt werden bzw. wurden zumindest angesprochen.
gabs fragen, die frau s. nicht beantworten wollte (zB ob das stimmt, dass die eltern ständig gestritten haben) wurde „unkonkret“ geantwortet:
das wisse sie nicht genau, aber dass es auch mal zu streit kommen kann zwischen eheleuten, dass man sich auch wieder versöhnen kann etc.
oder, was mir auch auffiel, es wurde mit einer gegenfrage geantwortet:
hat das a. erzählt? woher weißt du das?
dabei wurde auch viel über klatsch und tratsch gesprochen und erklärt, wie gerüchte entstehen.
und eins, das mich heute noch fasziniert, möchte ich euch nicht vorenthalten und am besten als zwiegespräch schildern:
jemand fragte etwas, daraufhin
frau s.:woher weißt du das?
schüler: mir hat a. mal im vertrauen erzählt –
frau s. fällt ihm ins wort: moment: weißt du , was „im vertrauen heißt?“
schüler: ja, er hat mir im vetrauen erzählt-
frau s: stopp, im vertrauen heißt, das er es DIR erzählt hat
schüler: ja, mir hat er nämlich erzählt-
frau s: er hat es DIR erzählt, hat er gesagt, du sollst es weitererzählen?
schüler: nein, (daraufhin fängt er zum denken an)
frau s: wenn er es dir im vertrauen erzählt, dann sieht er dich als seinen freund, und er braucht gerade jetzt freunde , denen er WIRKLICH vertrauen kann. dann erzähl es bitte nicht weiter. wenn er etwas erzählt, und du merkst, du kannst das nicht für dich behalten, weil es nicht in ordnung ist, dann sag ihm das, sag ihm, du möchtest jemanden anderen um rat fragen, du kannst das nicht für dich behalten.
zuletzt sagte sie noch, wenn’s a. am schikurs nicht gut ginge, so hätte er eine bitte geäußert: ob er dann zu x oder y oder z gehen könnte und mit ihm reden. sie fragte jeden der der schüler einzeln, ob sie das wollen, ob sie sich dem gewachsen sehen (einer sagte, er weiß es noch nicht).
anschließend erklärte sie den kindern, dass a. in den zeichenunterricht kommen wird und dass er sich sicher freut, wenn sie ihm zur begrüßung etwas schreiben oder zeichnen. das haben sie dann auch mit begeisterung gemacht, der tisch war am nächsten tag mit brieferln und zeichnungen bestückt, einige schüler hatten ein kleines geschenk (kaugummi oder spielzeug für seine heißgeliebte kleine katze) dazugelegt.
da die zeichenstunden die letzten vorm schikurs waren, machten wir anfang der stunde, als a. auftauchte (es war nicht die erste stunde und er kam mit frau s. in de unterricht) einen gesprächskreis, um das wichtigste für den schikurs nochmal durchzugehen. wir haben ihm gesagt, dass wir uns freuen, dass er wieder da ist, weiter wurde darüber nicht gesprochen. frau s. fragte ihn dann, ob sie gehen könnte, er bejahte und ich hatte eine gruppenzeichnung geplant (jeweils die schüler aus einem zimmer , wie sie am schikurs beisammen lagen—das ermöglichte ihm, mit seinen freunden zu arbeiten). die arbeit lief ganz gut, und a. kam ab und zu zu mir oder einem seiner freunde
und erzählte entweder, was er zu weihnachten bekommen hat oder sonst etwas, zB wollte er mir unbedingt am handy seine mutter zeigen……….
der schikurs verlief fast problemlos, bis auf etwas, worauf uns frau s. ebenfalls vorher aufmerksam machte:
eine schülerin bekam am schikurs die panik, ihre mutter könnte nicht mehr am leben sein, wenn sie heimkommt……….
so, das war lang.
aber vielleicht hilfts irgendjemandem