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Forum: ""Lehrer sollten öfter den Mund halten" - Interview in der SZ"
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 | "Lehrer sollten öfter den Mund halten" - Interview in der SZ |  | von: 95i

erstellt: 15.03.2006 17:29:00 |
14.03.2006 09:50 Uhr Interview
"Lehrer sollten öfter den Mund halten"
Im Schulunterricht redet vor allem der Lehrer. Warum das schlecht ist.
Interview: Marco Finetti
"Seid endlich still" - der Ruf ertönt in jeder Stunde, kommt vom Lehrer und gilt den Schülern. Dabei müsste es oft umgekehrt sein, wie die Desi-Studie (Deutsch Englisch Schülerleistungen international) jetzt wieder gezeigt hat. Denn im Unterricht redet vor allem der Lehrer - mehr als doppelt so viel wie alle Schüler zusammen, was mit dazu führt, dass viele Schüler schlechte Sprachkompetenzen haben. Hilbert Meyer, Erziehungswissenschaftler an der Uni Oldenburg, sieht darin einen Hauptfehler des Unterrichts und der Lehrerausbildung.
» Viele Lehrer haben ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis. «
SZ: Warum reden Lehrer so viel?
Meyer: Es gibt ein ganzes Bündel von Gründen. Viele Lehrer haben einfach ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis. Sie sind Lehrer geworden, weil es ihnen Spaß macht, vor der Klasse Rede und Antwort zu stehen. Zum anderen ist gerade im Frontalunterricht das Reden des Lehrers das Schmiermittel, um den Unterricht in Gang zu halten, um die vielen Organisationsfragen zu bewältigen, um zu loben und zu disziplinieren. Die Sprache ist das wichtigste Werkzeug des Lehrers. Das ändert aber nichts daran, dass ein Sprechanteil der Lehrer von zwei Dritteln nicht akzeptiert werden kann.
SZ: Wollen Lehrer durch viel Reden nicht auch das Denken der Schüler lenken und kontrollieren?
Meyer: Ja, sie wollen das Heft in der Hand behalten. Das ist auch legitim. Es kommt aber darauf an, welche Qualität diese Lenkung hat. Schlechte Lehrer sagen den Schülern, was sie denken sollen, gute lehren sie, selbst zu denken.
SZ: Reden Lehrer vielleicht auch deshalb so viel, weil sie unsicher sind?
Meyer: In Einzelfällen mag das so sein. Aber auch selbstbewusste Lehrer reden gern und viel. Andere reden auch viel, wenn sie unvorbereitet in die Klasse kommen. Manche reden sogar erst einmal drauf los und holen währenddessen im Hinterkopf die versäumte Stundenplanung blitzschnell nach.
SZ: Haben Lehrer Angst vor der Stille?
Meyer: Offensichtlich, denn sonst würden sie nicht schon nach zwei, drei Sekunden den nächsten Schüler drannehmen. Diese Ungeduld ist gerade für die Leistungsschwächeren von großem Nachteil. Gute Lehrer ertragen auch Stille.
» Der Frontalunterricht müsste reduziert werden. «
SZ: Dass Lehrer so viel reden, ist im Grunde schon seit den sechziger Jahren bekannt. Warum ändert sich nichts?
Meyer: Weil wir uns in den letzten Jahrzehnten zu wenig um die Verbesserung des Frontalunterrichts gekümmert haben. Wir suchen das Heil in der Freiarbeit, im Projektunterricht, im Stationenlernen. Stattdessen müsste der Frontalunterricht reduziert und mit lebendigen Methoden gefüllt werden.
SZ: Mit welchen Methoden?
Meyer: Mit allen, bei denen der Lehrer stärker durch die Schüler ersetzt wird. Das können Rollenspiele sein, Experimente, Streitgespräche, Geschichtenerzählen. Es hilft auch schon, wenn die Schüler die Moderation übernehmen.
SZ: Lernen das die Lehrer nicht in ihrer Ausbildung?
Meyer: Da geht die Entwicklung eher in die falsche Richtung. Durch die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen werden die Ausbildungsinhalte noch mehr festgezurrt. Für innovative Lehrmethoden bleibt da kaum Platz.
» Lehrer sollten öfter den Schülern zuhören. «
SZ: Müssten Lehrer nicht selber merken, dass es besser ist, weniger zu reden?
Meyer: Ja, sie sollten öfter einfach den Mund halten und den Schülern zuhören. Das ist auch in ihrem eigenen Interesse. Ein schüleraktiver Unterricht strengt auch physisch und psychisch weniger an.
(SZ vom 14.3.2006)
http://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/berufstudium/artikel/947/71876/ |
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